04.07.2022

EU-Taxonomie: "Stimmen Sie mit Nein!"

Diese Woche stimmen die Abgeordneten des Europäischen Parlaments darüber ab, ob Gas- und Atomenergie als "grün" in die EU-Taxonomie einfließen. Dazu haben alle Abgeordneten Post von GLS Bank Vorstandssprecher Thomas Jorberg erhalten, Betreff: "Die EU-Taxonomie ist weder nachhaltig noch sozial". Der Appell von Thomas Jorberg an die Parlamentarier*innen: "Stimmen Sie mit Nein!"

Thomas Jorberg schreibt: "Das neue Regelwerk für nachhaltige Investitionen droht damit genau das zu werden, was es verhindern soll: Greenwashing. Denn Atomkraft und Gas sind so wenig nachhaltig wie Pestizide 'bio' sind. Ihre Aufnahme in die EU-Taxonomie ist das falsche Instrument für die sowohl notwendige als auch politisch gewollte Transformation unserer Wirtschaft und Industrie. Durch die Aufnahme von Atomenergie und Gas verfehlt die Taxonomie ihre ursprüngliche Idee. Die weitergehende Diskussion darum, Investitionen in Waffen als sozial zu werten, führt die Taxonomie endgültig ad absurdum. All diese Technologien gehen mit erheblichen negativen Umwelt- und Sozialwirkungen einher. Die sozial-ökologische GLS Bank finanziert seit fast einem halben Jahrhundert nachhaltige Wirtschaft. Mein beiliegendes Positionspapier kommt zu einer eindeutigen Haltung zur EU-Taxonomie. Ich bitte Sie herzlich, es zu lesen und mit Nein zu stimmen."  

Positionspapier: "EU-Taxonomie: Wie die verfehlte EU-Regelung noch zu retten wäre"

Investor*innen bekommen ein immer stärkeres Bewusstsein für nachhaltige Finanzprodukte. Derzeit gibt es jedoch keine einheitlichen Qualitätsmerkmale dessen, was nachhaltig eigentlich bedeutet. Es braucht vertrauenswürdige Mindeststandards für nachhaltige Geldanlagen, um Greenwashing auf den Finanzmärkten entgegenzuwirken. Die EU-Taxonomie hätte solch eine Qualitätsdefinition sein können.

Durch die Aufnahme von Atomenergie und Gas verfehlt sie aber ihre ursprüngliche Idee. Die Diskussion darum, dass Investitionen in Waffen als sozial gewertet werden sollen, führt die Taxonomie endgültig ad absurdum. All diese Technologien gehen mit erheblichen negativen Umwelt- und Sozialwirkungen einher. Die EU-Taxonomie wird damit selbst zum Greenwashing. Das muss schnellstmöglich revidiert werden. Der Großteil der Investor*innen wird sich jedoch weiterhin hauptsächlich an der Rentabilität einer Investition orientieren. Auch wenn sich der Anteil nachhaltiger Investitionen in den nächsten fünf Jahren verdreifacht, würden immer noch etwa 70 Prozent des Anlagekapitals ausschließlich nach finanziellen Aspekten investiert. 

Folglich kann mit der EU-Taxonomie nicht das Ziel erreicht werden, Kapital in Branchen zu lenken, die zwar nachhaltig, jedoch nicht wirtschaftlich und deshalb unterfinanziert sind. Hierfür müssen die realwirtschaftlichen Rahmenbedingungen so angepasst werden, dass nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten wettbewerbsfähig werden. Daraufhin würden die Markteilnehmer*innen automatisch Kapital zur Verfügung stellen – ein nachhaltiger Anstrich hilft da nicht. 

Auch wenn die tatsächliche Lenkungswirkung eines solchen Qualitätsstandards auf Grundlage der EU-Taxonomie verfehlt werden dürfte, kann sie sowohl Unternehmen und Kreditinstituten als auch Aufsichtsbehörden dabei helfen, transitorische Risikotreiber zu identifizieren. Ein Weg hierfür könnte die sogenannte Green Asset Ratio (GAR) sein, die Kreditinstitute im Rahmen der EU-Taxonomie dazu verpflichtet, den Anteil nachhaltiger Investitionen am Gesamtportfolio zu berichten: Je niedriger ein solcher Anteil ist, desto höher wäre das Nachhaltigkeitsrisiko. 

Doch auch hier wird das Potenzial der EU-Taxonomie durch konzeptionelle Fehlentscheidungen nivelliert: Banken dürfen nur taxonomiekonforme Investitionen in kapitalmarktorientierte Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeiter*innen im Rahmen ihrer Berichtspflichten berücksichtigen. Das führt auf der einen Seite zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) und mittelstandsorientierte Banken. Auf der anderen Seite können Investitionen in KMU auch nicht in das Risikomanagement integriert und durch Aufsichtsbehörden bewertet werden, was zu erheblichen Fehleinschätzungen führen wird. 

Alles in allem wird die EU-Taxonomie in der jetzigen Ausgestaltung ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht. Vielmehr bedarf es echter nachhaltiger Mindeststandards auf der Grundlage einer überarbeiteten Taxonomie. Diese sollte sich an klaren sozial-ökologischen Kriterien orientieren, die auch zu einer Welt nach der Transformation passen. Oberhalb dieser Mindeststandards werden sich dann im Rahmen eines Qualitätswettbewerbs weitere, strengere Nachhaltigkeitsmarken im Markt etablieren. 

Um den Anteil nachhaltiger Investitionen jedoch nicht nur von zehn auf zwanzig Prozent zu steigern, sondern die sozial-ökologische Transformation insgesamt zu bewältigen, braucht es bessere realwirtschaftliche Rahmenbedingungen: Investitionen in rückwärtsgewandte Unternehmen und sozial-ökologisch schädliche Technologien müssen grundsätzlich unrentabel werden.